Laugavegur - Etappe 3

Auf dem Zeltplatz herrscht bereits reges Treiben. Viele Zelte sind schon wieder verstaut worden und überall stehen gepackte Rucksäcke herum. Ich versuche mich nicht hetzen zu lassen, bevor ich das Packen anfange, gibt es Frühstück. Die meisten werden wir heute ohnehin wieder treffen. Ständig läuft man hier auf andere Wanderer auf und lässt sie hinter sich und dann wird man selbst wieder überholt, wenn man eine kurze Pause macht. Und spätestens am Abend im nächsten Camp trifft man sich auf jeden Fall wieder. Einsam ist es hier nicht. Diese Erkenntnis ereilt uns dann auch wenig später, als wir uns nach etwa einer Stunde Wegstrecke, am Rand eines Canyons, in einer Menschenschlange wiederfinden. Die Schlange wartet darauf, einen kleinen Felsen, der mit einem Seil gesichert ist, hinabzuklettern. Noch ist der Weg aber von einer amerikanischen Reisegruppe verstopft, die sich unter den lautstarken Anweisungen ihrer Wanderführerin, die 2,5 Meter tiefe Stufe hinablässt. "Hold the rope, hold it tight! Be careful!" Dieses Schauspiel beobachten wir einige Minuten, bevor wir selbst die Stufe hinabsteigen und die Gruppe, die körperlich und nervlich am Ende auf den Boden sinkt, hinter uns lassen können.

Nach ein paar kraxeligen Höhenmetern gelangen wir auf ein Plateau, von dem aus wir in ein weites Tal blicken. Das Tal schlängelt sich oberhalb des Canyons entlang, in den wir schon am Vorabend hineinblicken konnten. Wir können auf der Karte sehen, dass wir dieser Route für die nächsten Stunden folgen werden. Der Weg führt einige hundert Meter von der Abbruchkante des Canyons entlang. Wir verlassen den Weg und nähern uns der Kante, um hinunter sehen zu können. Direkt am Rand können wir nicht nur hinab in das tosende Wasser blicken, sondern auch in den Zufluss einer zweiten Schlucht hineinsehen. Viele Meter über uns erkennen wir jetzt den Felsen, auf dem wir gestern Abend noch gestanden und hinabgesehen hatten. Wir kehren auf den Wanderweg zurück und stapfen durch feinen, schwarzen Sand. Es kommen uns kaum andere Wanderer entgegen, aber ständig überholen wir ganze Gruppen, die in die gleich Richtung gehen wie wir selbst. Bei unserer Planung hatten wir uns für diese Richtung entschieden. Wir dachten es wäre angenehmer, nicht allen Menschen entgegen zu laufen und somit jeden treffen und grüßen zu müssen, der sich auf dem Weg befindet. Wenn aber alle Leute einfach so langsam sind, dass man fast jeden überholt, spielt die Richtung keine Rolle. Das mit dem Grüßen scheint aber hier eh nicht angesagt zu sein: Hier grüßt keine Sau.

Am Horizont liegt das Meer

Wir laufen einige Zeit weiter durch den Sand. Es ist noch immer sommerlich warm, nur der Wind, der von Süden her über die Gletscher weht, bringt kalte Luft zu uns herüber. Langsam beginnt sich die Vegetation zu ändern. Mittlerweile wachsen hier schon wieder Flechten, Sträucher und kleine Birken. Ab und zu lässt sich mal wieder ein Vogel sehen. Ganz offensichtlich verlieren wir kontinuierlich an Höhe. Ein Blick aufs GPS bestätigt diesen Verdacht.

Als sich der Weg einem größeren Bach nähert, beschließen wir eine Pause zu machen. Wir legen uns ins Gras und ich baue den Kocher auf, um etwas Wasser für eine Suppe zu kochen. Eine klare Rollenteilung haben wir uns hier draußen angewöhnt: Ich koche jeden Tag, Kati macht hinterher den Abwasch. In München sind die Rollen meist umgekehrt verteilt.

Etwa eine Stunde nach unserer Mittagspause erreichen wir den Fluß Þrógá. Er ist breit und zahlreiche Sandbänke ragen aus dem Wasser. Eine große Menschentraube sitzt am gegenüberliegenden Ufer und ist dabei sich wieder die Schuhe anzuziehen. Ich verstehe nicht, warum das Furten von Flüssen hier ein so großes Ereignis zu sein scheint, dass man es nicht einfach nur tut und dann weiter wandert, sondern es jedes Mal in ein riesiges Hallo ausartet. Mich erinnert die Szene an eine Wimmelbild: Zwei Leute fotografieren, vier stehen im Wasser und wissen nicht vor noch zurück, einer packt ein Käsebrot aus, zwei unterhalten sich und eine Frau rennt mit einer Tüte umher und bietet jedem Überlebenden Kekse an. Plötzlich Geschrei, drei Männer laufen am Fluß entlang und retten einen wegtreibenden Stiefel. Es fehlt nur noch ein Busch mit einem knutschenden Liebespaar dahinter und ein Baum mit einem kleinen Jungen, der pinkelt. Kati und ich brauchen keine zehn Minuten um die Schuhe aus und wieder anzuziehen und zwischendrin noch den Fluß zu durchqueren, die Füße abzutrocknen und das Wimmelbild zu verlassen.

Schlagartig hat sich die Vegetation verändert. Wir befinden uns in einem dichten, grünen Birkenwald. Es ist schwül warm, Vögel singen und es blüht überall. Wir laufen durch diesen Wald, bis wir plötzlich die isländische Fahne über den Bäumen wehen sehen, wir haben Þórsmörk erreicht.

Þórsmörk liegt direkt an einem breiten ausgetrockneten Fluss Krosà, den wir überqueren um noch eine Hütte weiter, nach Bàsar zu gelangen. Hier wollen wir heute Nacht bleiben, ein bisschen ab von Schuss, hoffen wir.

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