Laugavegur - Etappe 2

Heute wachen wir nicht so früh auf wie am Vortag. Als wir aus dem Zelt schauen, fehlen sogar schon einige Zelte. Ein paar Streber sind also schon aufgebrochen. Wir lassen uns aber nicht hetzen, sondern frühstücken erst einmal in Ruhe vor unserem Zelt. Das Treiben auf dem Platz spielt sich hinter uns ab, wir blicken auf den See und die Berge um uns herum. In der Ferne sehen wir den Hattfell, einen fast perfekt pyramidenförmigen Berg. Am späten Nachmittag werden wir an ihm vorbei gewandert sein.

Am Horizont ist der pyramidenförmige Berg Hattfell zu erkennen.

Während sich Kati im Anschluss an das Frühstück die Zähne putzt, gehe ich noch einmal an den See um zu fotografieren. Ich beobachte dabei einen Mann, der mir am Vorabend schon aufgefallen war. Ich hatte mich gewundert, wie man mit so sauberen Schuhen an diesen doch eher entlegenen Ort gelangen kann. Der Typ, etwa in meinem Alter, sieht so geleckt aus und ist so hochpreisig eingekleidet, als sei er Covermodel der Outdoor-BRAVO. Er steht vor seinem Zelt und packte diversen Klamotten in einen Rollkoffer. Nach einer gefühlten Ewigkeit hat er dann seine sieben Sachen zusammen und zieht den Koffer über den Platz, um ihn dann an einem der Jeeps, die hinter den Hütten parken, abzustellen. Das Zelt bleibt während dessen unberührt an Ort und Stelle stehen. Langsam leuchtet mir ein, warum hier so viele gleiche Zelte nebeneinander stehen. Das sind die Zelte der Leute, die geführte Wanderungen buchen, bei denen die Teilnehmer außer eines Tagesrucksacks und ihres iPhones nichts weiter zu tragen brauchen. Das sind Zelte der Leute, die sich Abenteuer kaufen, bei denen man sich seine frischen Klamotten im Koffer per Jeep an den Zeltplatz bringen lässt. Und das sind die Zelte der Leute, die sich eben diese Zelte auf- und abbauen lassen und die sich dann abends bekochen lassen. Ich finde das irgendwie befremdlich.

Um kurz vor neun machen wir uns auf den Weg. Der beginnt direkt hinter den Hütten und führt uns in östlicher Richtung den Hügel hinauf. Nach kurzer Zeit laufen wir auf das Pärchen vom Vortag auf. Die beiden tragen wieder ihre komplette Regenbekleidung und schleppen, wie schon am Vortag, mit weit nach vorne gebeugten Oberkörpern, ihre riesigen Rucksäcke. Vielleicht sind die Rucksäcke auch gar nicht so riesig, sondern sehen unter den flatternden Regenhüllen einfach nur so riesig aus. Schwer scheinen sie zu sein, zumindest zu schwer für ihre Träger. Er läuft, wie ebenfalls schon am Vortag, einige Meter voran und sie hat sichtlich Mühe an ihm dran zu bleiben.

Nach etwa einer halben Stunde erreichen Kati und ich einen Fluss. Es gibt keine Brücke und es sitzen schon einige Wanderer am Ufer und ziehen sich die Schuhe aus. Andere sitzen schon am gegenüberliegenden Ufer und ziehen die Stiefel wieder an. Auch wir waten durch das eiskalte Wasser, setzen uns am gegenüberliegenden Ufer in den schwarzen Sand und trocknen unsere kribbelnden Füsse ab, dann geht es weiter. Der Weg führt uns jetzt einen Hügel hinauf nach Süden. Wir stapfen schon wieder durch Schnee. Auf der Kuppe angekommen, öffnet sich der Blick und wir sehen zum ersten Mal den fast 600m^2 großen Gletscher [Mýrdalsjökull](https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BDrdalsj%C3%B6kull). In ein paar Tagen werden wir zwischen diesem und dem deutlich kleineren [Eyjafjallajökull](https://de.wikipedia.org/wiki/Eyjafjallaj%C3%B6kull) hindurch dem Weg nach Þórsmörk folgen. Jetzt erreichen wir aber erstmal einen kleinen Hof der zusammen mit ein paar steinerne Ruinen am Rande eines Lavafeldes steht. Vor dem gelben Stall ist eine kleine Pferdekoppel. Wer den Laugavegur mit dem Pferd bewältigt, kann hier übernachten und hat die Möglichkeit seine Pferde zu versorgen.

Wir passieren den Hof und folgen dem Weg durch das Lavafeld hinter den Hütten. Wir überqueren auf einer schmalen Brücke einen Fluß und waten dann 200 Meter doch wieder durch einen Fluss. Dann kommen wir an eine Schotterpiste und blicken plötzlich in eine weite, schwarze Ebene hinein. Am Horizont sieht man freistehende, schneebedeckte Berge, vor uns liegt aber eine flache schwarze Wüste. Es gibt keine Bäume und kein Sträucher und ich bin mir nicht einmal sicher, ob hier überhaupt irgend etwas lebt. Mir fällt auf, dass ich auch schon länger keine Vögel mehr gehört habe. Würde man am Horizont nicht immer wieder blaue und orangene Rucksack-Regenhüllen wanken sehen, käme man sich sicherlich sehr verloren und ausgeliefert vor. Wir folgen der Piste durch die Wüste und erreichen einige Stunden später Emstrur, das Ziel der heutigen Etappe.

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Der Zeltplatz Emstrur liegt an einem kleinen Bach, der hier draußen etwas sehr oasenhaftes ausstrahlt. Links und rechts am Ufer bietet jeweils ein nur sehr schmaler Streifen Gras Platz für die Zelte, die hier sehr dicht aufeinander stehen müssen, damit jeder einen Platz abbekommen kann. Oberhalb des Flusses stehen wie schon an den Tagen zuvor ein paar kleine Hütten, in denen die Rezeption, die Waschgelegenheiten und auch einige Schlafplätze untergebracht sind. Vor einer der Hütten wird der Grill für die Pauschalabenteurer vorbereitet. Kati und ich kochen uns mit Wasser aus dem Fluss einen Tee und ein paar Nudeln.

Nach dem Abendbrot - die Wolken sind nach einem kurzen Schauer gerade wieder aufgerissen - nehme ich mir meine Kamera und das Stativ. Wir entfernen uns noch einmal vom Zeltplatz, um uns die Umgebung anzusehen und zu fotografieren. Von einer Anhöhe aus können wir in der Ferne wolkenverhangen die beiden Gletscher sehen. Wir haben Glück - Kaum habe ich meine Kamera auf dem Stativ ausgerichtet, verziehen sich die Wolken und geben den Blick frei auf eine riesige Eisfläche, davor winzigklein der Zeltplatz. Kalter Wind weht zu uns herüber. Auf der anderen Seite der Anhöhe, in Richtung Süd-Westen, blicken wir in einen tiefen Canyon hinein.

Wieder im Camp angekommen, gehen wir gleich Zähneputzen. Vor den Waschbecken steht eine lange Schlange. Artig warte ich, bis die Leute vor mir ihren großen Haufen Geschirr gespült haben. Hinter mir höre ich jemanden von seinem Tag berichten: "Oh yeah man, it was really tough today. It think it was the hardest day of my life, but yeah, it was awesome!". Ich drehe mich um und erkenne den Typen mit dem Rollkoffer.

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